Masern: Eine Gefahr für das Immunsystem
Mit der Einführung der Masernschutzimpfung vor rund 50 Jahren konnten Morbidität und Mortalität bei Kindern deutlich reduziert werden. Warum die Impfung gegen Masern nicht nur gegen Masern schützen könnte: ein Kurzüberblick.
Eine Maserninfektion kommt selten allein
Mit der Einführung von Masernimpfprogramme konnte die Kindersterblichkeit vor allem in ressourcenarmen Ländern erheblich reduziert werden.1 Dieser Effekt ist jedoch nicht allein darauf zurückzuführen, dass die geimpen Kinder nicht mehr an Masern erkrankten. Obwohl eine Masern-Infektion in der Regel eine lebenslange Immunität hinterlässt, supprimiert sie gleichzeitig das Immunsystem. Dies kann zu einer erhöhten Anfälligkeit gegenüber anderen Pathogenen führen.1-3
Um dem Ausmaß dieses Effektes auf den Grund zu gehen, werteten Michael Mina und seine Kollegen von der Princeton-University 2015 Gesundheitsdaten aus den USA, England, Wales und Dänemark aus.1 Dabei stellten sie fest, dass der supprimierende Effekt auf das Immunsystem über 2–3 Jahre hinweg andauerte und eine erhöhte Mortalität durch andere Infektionskrankheiten zur Folge hatte.1 In einer Kohortenstudie aus dem Jahr 2018 zeigten sich bei 10–15 % der Kinder auch noch 5 Jahre nach der Maserninfektion Zeichen eines geschwächten Immunsystems. Bei den betroffenen Kindern war die Rate von Sekundärinfektionen erhöht.1,4
Ursache immunologischer Reset: alles auf null?
Als Ursache für das geschwächte Abwehrsystem gilt ein immunologischer Reset: Trotz einer Erholung der Lymphozyten-Gesamtzahl wurde nach der Infektion eine Reduktion spezifischer B- und T-Gedächtniszellen beobachtet. Gleichzeitig kam es zu einer Zunahme von Übergangs-B-Zellen.5,6
Um dem zugrundeliegenden Mechanismus auf die Spur zu kommen, untersuchte eine Studie an einer ungeimpen Population in den Niederlanden Veränderungen der Variabilität des B-Zell-Rezeptors (B Cell Receptor, BCR) nach der Maserinfektion. Diese spiegeln mögliche Abweichungen in der Zusammensetzung der zirkulierenden B-Zellen wieder.5
Dabei wurde eine unvollständige Erholung der B-Zell-Diversität im Knochenmark beobachtet, die eine immunologische Unreife zur Folge hat – und das nach vollständiger Rückbildung der Symptome.5 Das vor der Infektion aufgebaute Immungedächtnis war demnach deutlich dezimiert.5 Dieser Effekt hielt auch nach Überwindung der lymphopenischen Phase an und kann durch eine infektionsbedingte Immunaktivierung verdeckt werden.5
Mehr als nur Masernschutz möglich
Die Daten von Mina und Kollegen weisen darauf hin, dass etwa die Hälfte der infektionsbedingten Todesfälle im Kindesalter vor Einführung der Masern-Impfung auf das Konto einer Maserninfektion gegangen sein könnten.1 Die Impfung wird als Hauptfaktor für die Reduktion der Gesamtsterblichkeit bei Kindern aufgrund von Infektionskrankheiten angeführt.1 Die Autoren gehen auf Basis der erhobenen Daten davon aus, dass die Masernimpfung eine zusätzliche Herdenimmunität gegen andere Infektionskrankheiten mit sich bringen könnte.1
Referenzen
1. Mina MJ et al. Long-term measles-induced immunomodulation increases overall childhood infectious disease mortality. Science 2015; 348(6235):694–699.
2. Griffin DE et al. Immune Activation in Measles. New England Journal of Medicine 1989; 320(25): 1667–72.
3. de Vries RD et al. The pathogenesis of measles. Curr Opin Virol 2012; 2(3): 248–55.
4. Gadroen K et al. Impact and longevity of measles-associated immune suppression: a matched cohort study using data from the THIN general practice database in the UK. BMJ Open. 2018. 8(11): e021465.
5. Petrova VN et al. Incomplete genetic reconstitution of B cell pools contributes to prolonged immunosuppression aer measles. Sci Immunol 2019; 4(41): eaay6125. doi: 10.1126/sciimmunol.aay6125.
6. Laksono BM et al. Studies into the mechanism of measles-associated immune suppression during a measles outbreak in the Netherlands. Nat Commun 2018; 9(1): 4944.