Impfen in der Schwangerschaft

Warum werden in der Schwangerschaft Impfungen empfohlen?

26. April 2024
Lesedauer: 4 Min.
Schwangere Frau

Um eine gesunde Schwangerschaft aufrecht zu erhalten, kommt es zu einer Veränderung und Anpassung des mütterlichen Immunsystems. Durch den Einfluss von Östrogenen, Progesteron und Glukokortikoiden dominieren entzündungshemmende Reaktionen. Die Aktivität proinflammatorischer Faktoren wie Killerzellen, Makrophagen und T-Helferzellen Typ 1 ist reduziert.1

Durch diese physiologischen Vorgänge werden zwar die Schwangerschaft und der Fetus geschützt, die Immunkompetenz der Mutter gegenüber bestimmten Infektionskrankheiten verringert sich jedoch. Erkrankungen wie beispielsweise Influenza oder COVID-19 sind bei Schwangeren daher mit einem deutlich erhöhten Risiko für einen schweren Verlauf und möglicherweise einer erheblichen Beeinträchtigung der fetalen Versorgung verbunden.2

Impfungen haben das Potential, zum Schutz von Mutter und Fetus, beziehungsweise Neugeborenem beizutragen. So erhöht beispielsweise die Pertussis-Impfung während der Schwangerschaft die Antikörperkonzentration im mütterlichen Blut. Das verbessert den Nestschutz deutlich und reduziert das Risiko schwerwiegender Erkrankungen des Säuglings.3, 4

In den ersten Lebenswochen und -monaten eines Säuglings sind Infektionsanfälligkeit und Risiko für schwere Krankheitsverläufe hoch, da das Immunsystem des Kindes noch nicht vollständig entwickelt ist und der Säugling selbst noch nicht geimpft werden kann. Die Leihimmunität der Mutter sorgt in den ersten Lebenswochen für einen gewissen passiven Infektionsschutz.

Schwangeren und Frauen mit Kinderwunsch sollten daher Maßnahmen empfohlen werden, die Infektionskrankheiten verhindern und die mütterliche, fetale und neonatale Morbidität und Mortalität reduzieren. Dazu gehören neben der Expositionsprophylaxe die Standard- und Reiseschutzimpfungen sowie die erforderlichen Auffrischungen und Nachholimpfungen.5 Vielen werdenden Müttern sind die Infektionsrisiken für sich und ihr Kind nicht bewusst, weshalb eine einfühlsame Beratung und Aufklärung ein äußerst wichtiger Bestandteil der Schwangerenvorsorge ist.

 

Geschichte des Impfens in der Schwangerschaft

Im Jahr 1796 entdeckte der englische Landarzt Edward Jenner, dass mit harmlosen Kuhpocken infizierte Landarbeiter gegenüber den gefährlichen Menschenpocken (Variola major) immun waren. Er infizierte daraufhin den Jungen James Phipps erst mit Kuhpocken und danach mit Menschenpocken. Wie Jenner erwartet hatte, erkrankte der Junge nicht. Damit war die Impfung erfunden. Es dauerte allerdings mehr als 80 Jahre, bis Impfungen auf breiterer Ebene für die Prävention von Erkrankungen eingesetzt wurden.

Im Zuge der Impfungen gegen Variola major wurden ab 1879 auch Schwangere geimpft. Es folgten die ersten Impfungen gegen Tetanus in den 1930er und 40er Jahren, deren Sicherheit und Wirksamkeit bei Schwangeren in den 1960er Jahren wissenschaftlich belegt wurden. Ein weiterer Meilenstein der Impfung Schwangerer war die Empfehlung des Advisory Committee on Immunization Practices (ACIP) für die Influenza-Impfung im Jahr 1995 und gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis und Poliomyelits im Jahr 2011. 2012 folgte die Empfehlung der WHO für die Grippeschutzimpfung.7

Seit 1990 bis heute wurden im Rahmen des Maternal-and-Neonatal-Tetanus-Elimination-Programms (MNTE) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) über 130 Millionen Frauen gegen Tetanus geimpft. Das Ziel des MNTE-Programms ist es, die Zahl neonataler Tetanusfälle so weit zu senken, dass die Erkrankung künftig keines der großen Probleme der weltweiten öffentlichen Gesundheit mehr darstellt.8

Abbildung 1: Meilensteine in der Geschichte von Impfungen in der Schwangerschaft

Grundlagen des Impfens in der Schwangerschaft

Bestenfalls erfolgen alle notwendigen Standard- und Indikationsimpfungen bereits vor Eintritt einer Schwangerschaft, um Mutter und Kind vom ersten Tag an so gut wie möglich zu schützen. Ist das nicht möglich, können Totimpfstoffe auch in der Schwangerschaft appliziert werden. Der beste Zeitpunkt ist dabei das 2. und 3. Trimenon. Jedoch kann auch im 1. Trimenon bei dringender Indikation geimpft werden, zum Beispiel bei chronischen Grunderkrankungen, bei Kontakt mit Infizierten im Rahmen einer postexpositionellen Prophylaxe oder vor Reisen in Regionen mit hohem Ansteckungsrisiko.5, 9

Bei Impfungen im 1. Trimenon empfiehlt es sich, die Schwangere darüber zu informieren, dass in den ersten Schwangerschaftsmonaten das Risiko für Spontanaborte generell erhöht ist, diese aber nicht mit Impfungen in Zusammenhang stehen. Erfolgt eine Impfung unwissentlich im 1. Trimenon, ist das keine Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch.5

Für die Impfung mit einem Totimpfstoff ist eine Schwangerschaft keine Kontraindikation, Impfungen mit Lebendimpfstoffen sind wegen des potenziell erhöhten Risikos einer Impfviruserkrankung mit der Folge der Infektion des Fetus jedoch kontraindiziert.5 Da fetale Beeinträchtigungen mit Langzeitfolgen nach versehentlicher Impfung mit einem Lebendimpfstoff nicht belegt sind, stellt auch dies keine Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch dar.10 Nach einer Impfung mit einem Lebendimpfstoff sollte jedoch bestenfalls ein Monat Kontrazeption eingehalten werden.5

Schwangere ohne Immunschutz können bei Bedarf auch mit Immunglobulinen passiv immunisiert werden. So können zum Beispiel bei einer Varizellen-Exposition die maternalen Komplikationen verringert werden, wobei die Verabreichung bis zu 10 Tage nach der Exposition sinnvoll ist, sie bestenfalls jedoch in einem Zeitfenster von 96 Stunden nach Kontakt erfolgt. Die Effektivität der Immunglobuline bei einer Infektion des Fetus wurde bisher allerdings nicht belegt.11

Neugeborene erhalten durch den plazentaren Transfer mütterlicher Antikörper einen gewissen passiven Schutz vor Infektionskrankheiten. Die Übertragung von IgG über die Plazenta steigt ab der 13. Schwangerschaftswoche, der aktive Transfer beginnt ab der 32. Woche. Die Übertragung erfolgt meist linear und erreicht im dritten Trimenon das Maximum, der Großteil der Antikörper wird in den letzten vier Wochen der Schwangerschaft übertragen. Die Leihimmunität hält je nach Erreger unterschiedlich lange an. Dieses Prinzip des Nestschutzes macht man sich bei der Pertussis-Impfung in der Schwangerschaft zu nutze.12, 13

Abbildung 3: Nestschutz – Antikörpertransfer über die Plazenta

Die STIKO empfiehlt, dass alle schwangeren Frauen neben den altersentsprechenden Standardimpfungen in jeder Schwangerschaft die Impfungen gegen Influenza und Pertussis erhalten sollten. Auch eine unvollständige/ fehlende Basisimmunität gegen COVID-19 sollte in der Schwangerschaft komplettiert/ durchgeführt werden.5

Impfung

STIKO-Empfehlung Impfzeitpunkt
Influenza

In jeder Schwangerschaft

  • Ab dem 2. Trimenon
  • Bei Grunderkrankungen ab dem 1. Trimenon
Pertussis In jeder Schwangerschaft
  • Zu Beginn des 3. Trimenons
  • Bei Frühgeburtsrisiko auch im 2. Trimenon möglich
COVID-19 Basisimmunität*
  • Durchführung/ Komplettierung ab dem 2. Trimenon

Impfung

STIKO-Empfehlung Impfzeitpunkt
Influenza In jeder Schwangerschaft
  • Ab dem 2. Trimenon
  • Bei Grunderkrankungen ab dem 1. Trimenon
Pertussis

In jeder Schwangerschaft

  • Zu Beginn des 3. Trimenons
  • Bei Frühgeburtsrisiko auch im 2. Trimenon möglich
COVID-19 Basisimmunität*
  • Durchführung/ Komplettierung ab dem 2. Trimenon

*Die Basisimmunität gegen COVID-19 wird definiert als 3 Antigenkontakte, wobei mindestens ein Kontakt durch eine Impfung erfolgt sein soll. Die Abstände zwischen den Infektionen, beziehungsweise Impfungen sollten dabei mindestens 3 Monate betragen.5

 

Stillende können alle von der STIKO empfohlenen Impfungen erhalten, ausgenommen der Lebendimpfung zum Schutz vor Gelbfieber. Weltweit wurden einzelne Fälle beschrieben, in denen gestillte Säuglinge nach der Gelbfieber-Impfung der Mutter an einer Meningoenzephalitis erkrankt sind.14 Ist die Pertussis-Impfung der Mutter nicht in der Schwangerschaft erfolgt, sollte diese innerhalb der ersten Tage nach der Geburt nachgeholt werden.5

 

Referenzen

1. Robinson DP, Klein SL. Pregnancy and pregnancy-associated hormones alter immune responses and disease pathogenesis. Horm Behav. 2012;62(3):263-71.

2. Athena P. Kourtis MD, Ph.D., Jennifer S. Read, M.D., M.P.H., and Denise J. Jamieson, M.D., M.P.H. Pregnancy and Infection. The New England Journal of Medicine. 2014;370:2211-8.

3. Demirjian A, Levy O. Safety and efficacy of neonatal vaccination. Eur J Immunol. 2009;39(1):36-46.

4. Perrett KP, Halperin SA, Nolan T, Carmona Martinez A, Martinon-Torres F, Garcia-Sicilia J, et al. Impact of tetanus-diphtheria-acellular pertussis immunization during pregnancy on subsequent infant immunization seroresponses: follow-up from a large randomized placebo-controlled trial. Vaccine. 2020;38(8):2105-14.

5. Robert-Koch-Institut. Epidemiologisches Bulletin. 2024;4:1-72.

6. Greschick S. Edward Jenner: Der Mann, der das Impfen erfand. GEOlino extra. 2019;78.

7. Centers for Disease Control and Prevention (CDC). Influenza – The Pink Book 2022 [Available from: https://www.cdc.gov/vaccines/pubs/pinkbook/flu.html.

8. World Health Organization. Maternal and Neonatal Tetanus Elimination: Team Immunization, Vaccines and Biologicals,; 2022 [Available from: https://www.who.int/initiatives/maternal-and-neonatal-tetanus-elimination-(mnte).

9. Robert Koch-Institut. STIKO-Impfempfehlungen für Frauen mit Kinderwunsch 2022 [Available from: https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/AllgFr_AllgemeineFragen/FAQ09.html?nn=2391120.

10. Preblud S. Fetal risk associated with rubella vaccination during pregnancy. Infectious diseases in obstetrics and gynecology. 1993;3:2-139.

11. Centers for Disease Control and Prevention (CDC). A new product (VariZIG) for postexposure prophylaxis of varicella available under an investigational new drug application expanded access protocol 2006 [209-10].

12. Palmeira P, Quinello C, Silveira-Lessa AL, Zago CA, Carneiro-Sampaio M. IgG placental transfer in healthy and pathological pregnancies. Clin Dev Immunol. 2012;2012:985646.

13. Chu HY, Englund JA. Maternal immunization. Clin Infect Dis. 2014;59(4):560-8.

14. Robert Koch-Institut. Epidemiologisches Bulletin. 2023;14:1-194.

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