Frühzeitig geschützt: Impfen bei Frühgeborenen
Hintergründe und Empfehlungen zur Impfung von Frühgeborenen auf einen Blick
Das Wichtigste im Überblick:
- Frühgeborene haben ein erhöhtes Risiko, impfpräventable Infektionskrankheiten zu erleiden.
- Impfungen sollten auch bei Frühgeborenen nach dem chronologischen Alter erfolgen.
- Erste Impfungen sollten bei Frühgeborenen stationär überwacht werden.
- Zusätzlich sollten Familienmitglieder und enge Kontaktpersonen den notwendigen Impfschutz erhalten.
Frühgeburtlichkeit: Zahlen und Fakten
Als Frühgeborene werden laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Neugeborene bezeichnet, die vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche (SSW) zur Welt kommen. Im Jahr 2020 betraf dies weltweit 13,4 Millionen Säuglinge.1
Die WHO unterteilt weiter in:1
- sehr frühe Frühgeborene: < 28 Wochen
- frühe Frühgeburten: 28-31 Wochen
- mäßig bis späte Frühgeburten: 32-37 Wochen
Frühgeborene: Besonderer Schutz erforderlich
Frühgeburtlichkeit geht mit einem erhöhten Risiko für Infektionskrankheiten einher. Die Gründe sind vielfältig: Das Immunsystem von Frühgeborenen ist noch nicht ausgereift und Schleimhautbarrieren nicht vollständig aufgebaut. Hinzu kommen lange Krankenhausaufenthalte, mögliche Ernährungsdefizite, Mikrobiomstörungen sowie genetische Faktoren. Außerdem werden während der Schwangerschaft weniger maternale Antikörper auf den Fötus übertragen, was zu einer verringerten passiven Immunität (Nestschutz) führt.2 Eine relevante Übertragung der Antikörper startet erst in der 28. SSW und die Hauptmenge der IgG-Immunglobuline wird erst in den letzten 4 Wochen vor der Geburt transferiert.3,4 Aus diesen Gründen ist es wichtig, Frühgeborene durch entsprechende Hygienemaßnahmen und Impfstrategien rechtzeitig vor Infektionskrankheiten zu schützen.
Grundimmunisierung: Chronologisches Alter entscheidend
Frühgeburtlichkeit wird häufig als falsche Kontraindikation für Impfungen angesehen. Die STIKO spricht sich hierzu jedoch klar für Impfungen aus und empfiehlt, Frühgeborene unabhängig von ihrem Reifealter und aktuellen Gewicht entsprechend ihrem chronologischen Alter zu impfen.5
Auch Prof. Dr. med. Martina Prelog, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Würzburg, ruft zur frühen Impfung auf:
„Ich möchte besonders appellieren, dass Sie [...] die empfohlenen Impfungen zeitgerecht durchführen, sodass die Impfserie rechtzeitig abgeschlossen werden kann. So können wir davon ausgehen, dass bis zum 15. Lebensmonat wirklich alle Kinderimpfungen so weit wie möglich durchgezogen wurden, um hier einen möglichst frühen Schutz zu geben."
In die Praxis: Welche aktiven Impfungen sollten wann erfolgen?
Rotaviren: Nutzen der Impfung überwiegt Übertragungs-Risiko
Frühgeburtlichkeit ist mit einem 2,8-fach erhöhtem Risiko für Rotaviren-assoziierte Hospitalisierung verbunden.6 Deshalb empfiehlt die STIKO, die Rotavirus-Schluckimpfung für Frühgeborene wie für Reifgeborene entsprechend ihres chronischen Alters ab sechs Wochen nach der Geburt zu verabreichen. In Abhängigkeit des verwendeten Impfstoffs ist die Grundimmunisierung mit einer oder zwei weiteren Impfstoff-Dosen im Mindestabstand von je vier Wochen abgeschlossen. Um die Übertragung der attenuierten Rotaviren (Lebendimpfstoff) auf andere Säuglinge in der Klinik oder auf Angehörige zu verhindern, sollte auf eine ausreichende Hygiene geachtet werden. Gemäß STIKO überwiegt der Nutzen der Impfung für hospitalisierte Säuglinge dem Erkrankungsrisiko anderer hospitalisierter Personen durch eine mögliche Übertragung der Impfviren.5,7
Sechsfach-Kombinationsimpfung: Vier statt drei Dosen
Die Grundimmunisierung gegen Diphtherie (D), Tetanus (T), Pertussis (aP), Poliomyelitis (IPV), Haemophilus influenzae Typ b (Hib) und Hepatitis B (HB) erfolgt laut aktueller STIKO-Empfehlung mit dem 6-fach-Kombinationsimpfstoff. Frühgeborene erhalten im Gegensatz zu Reifgeborenen vier statt nur drei Impfstoffdosen im chronologischen Alter von zwei, drei, vier und elf Monaten.5
Besonderheit: Ist die Mutter Trägerin des HBs-Antigens, sollten die erste Hepatitis B-Impfung und HB-Immunglobuline zwölf Stunden nach der Geburt simultan verbreicht werden. Für Frühgeborene werden anschließend drei weitere Dosen eines monovalenten HB-Impfstoffs im Alter von einem, zwei und zwölf Monaten empfohlen. Die übrigen Impfstoffdosen der Grundimmunisierung gegen DTaP-IPV-Hib können dann in Form eines Fünffach- oder Sechsfach-Impfstoffs verabreicht werden.5
Pneumokokken: Ebenfalls eine Dosis mehr
Die STIKO empfiehlt zur Grundimmunisierung gegen Pneumokokken bei Frühgeborenen wie generell bei Säuglingen den 13- oder 15-valenten Konjugatimpfstoff. Zu beachten ist auch in diesem Fall, dass im Vergleich zu Reifgeborenen eine vierte Impfstoffdosis zwischen der ersten und zweiten Impfung empfohlen wird. Die Grundimmunisierung erfolgt demnach wie auch die Sechsfach-Kombinationsimpfung im Alter von zwei, drei, vier und elf Monaten.5
Meningokokken B: Koadministration und Paracetamol auch für Frühgeborene empfohlen
Seit Anfang 2024 empfiehlt die STIKO die Grundimmunisierung gegen Meningokokken der Serogruppe B für alle Neugeborenen im Alter von zwei, vier und 12 Monaten. Um einen möglichst frühen Immunschutz zu erreichen und die Anzahl der Impftermine zu verringern, empfiehlt die STIKO explizit die Koadministration von mehreren Injektionsimpfstoffen. Dementsprechend können die ersten beiden Impfstoffdosen der Meningokokken-B-Impfung mit der Sechsfach-, der Pneumokokken- und der Rotavirus-Impfung simultan verabreicht werden. Um hohem Fieber oder Schmerzen vorzubeugen, empfiehlt die STIKO außerdem eine prophylaktische Paracetamol-Gabe. Für Frühgeborene sind keine Abweichungen von diesen Empfehlungen vorgesehen. Für Frühgeborene mit einem Körpergewicht (KG) von < 3 kg bitte den Hinweis der STIKO im Epidemiologisches Bulletin 04/2024 auf Seite 24 beachten.5
Die Impfung gegen Mumps, Masern und Röteln sowie gegen Varizellen sollte gemäß Impfkalender mit 2 Dosen im chronologischen Alter von 11 und 15 Monaten erfolgen. Außerdem sollte mit 12 Monaten die Impfung gegen Meningokokken C verabreicht werden.5
Alle Impfungen, die bei Frühgeborenen im ersten Lebensjahr erfolgen sollten, auf einen Blick finden Sie in unserer Impftabelle „Frühgeborene“:
Hier geht es zur Impftabelle.
Für Frühgeborene gilt: Kontrolle ist besser
Impfungen bei Frühgeborenen sind mit einem erhöhten Risiko für Atemveränderungen, einschließlich Apnoen, und Bradykardien verbunden. Die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin e. V. (DAKJ) hat daher ein Flussschema zur Überwachung der Atmung bei Frühgeborenen während der Grundimmunisierung entwickelt (siehe Abb. 1). Für sehr früh Geborene (< 28 Wochen) empfiehlt die DAKJ eine stationäre Überwachung der Atmung bei der ersten Impfdosis mit DTPa-HBV-IPV-Hib- und Pneumokokken-Konjugat-Impfstoff ab einem Alter von 2 Monaten, unabhängig von früheren Anzeichen einer unreifen Atmung. Die zweite Impfung sollte dann:8
- ambulant verabreicht werden, sofern nach der ersten Impfung keine Apnoen und/oder Bradykardien auftraten und das Kind zum Zeitpunkt der zweiten Impfung klinisch unauffällig ist.
- im Rahmen einer vorübergehenden Hospitalisierung mit Überwachung der Atmung für 48 bis 72 Stunden erfolgen, sofern nach der ersten Impfung erstmals oder erneut Apnoen und/oder Bradykardien auftraten.
Für die dritte Impfung sollte analog zur zweiten Dosis entsprechend der Impfreaktionen nach der zweiten Impfung bzw. aktueller klinischer Auffälligkeiten gehandelt werden.
Abbildung 1: Flussschema der DAKJ (modizifiert nach DAKJ 2013)7
Ask the expert: Frau Prelog, ab welcher SSW sollten Frühgeborene für die Impfung stationär bleiben? Gilt das auch für die späten Frühchen?
„Mehrere Expertenempfehlungen haben sich dafür ausgesprochen, vor allem sehr unreife Frühgeborene, also vor der vollendeten 28. Schwangerschaftswoche geborene, aber auch stark untergewichtige oder kranke Frühgeborene oder solche, die schon einmal Atemprobleme hatten, unabhängig vom Gestationsalter bei der ersten Impfung stationär zu überwachen. Ideal ist es, daran zu denken, bei Säuglingen, die nach der Geburt länger stationär sind, bereits während des stationären Aufenthalts schon die erste Impfung durchzuführen. Dann sieht man bereits, wie das Kind reagiert hinsichtlich Bradykardien, Apnoen oder einer Hypoxämie und man kann weiter planen und entsprechend die Empfehlung aussprechen, ob die 2. oder 3. Impfung auch nochmal stationär erfolgen sollte oder nicht.“
Zusätzlicher Schutz: Maternale Impfung und Cocooning
Um den Schutz für Säuglinge nach der Geburt zu erhöhen, kann mit der maternalen Impfung das Prinzip der diaplazentaren Antikörperübertragung genutzt werden. Die STIKO empfiehlt die Pertussis-Impfung zu Beginn des dritten Trimenons, bei bekanntem Frühgeburtsrisiko sollte bereits im zweiten Trimenon geimpft werden. Ist die Impfung der Mutter während der Schwangerschaft nicht erfolgt, sollte diese in den ersten Tagen nach der Geburt nachgeholt werden. Außerdem sollten gemäß der „Cocooning"-Strategie enge Angehörige und Kontaktpersonen des Neugeborenen einen Impfschutz gegen Pertussis aufweisen.
Darüber hinaus wird in der Schwangerschaft ab dem zweiten Trimenon bzw. bei einer Vorerkrankung wie Asthma oder Diabetes mellitus bereits im ersten Trimenon die Impfung gegen Influenza empfohlen. Generell gilt: Impfungen mit Totimpfstoffen wie bspw. gegen COVID-19 (mRNA-Impfstoff), Diphtherie, Tetanus, Polio und Hepatitis B sind während der Schwangerschaft unbedenklich.5
Referenzen
1. World Health Organization. Preterm birth. 2023; unter: https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/preterm-birth (abgerufen am 05.11.2024).
2. Collins A, Weitkamp JH and Wynn JL. Why are preterm newborns at increased risk of infection? Arch Dis Child Fetal Neonatal Ed 2019;103(4):F391-F394.
3. Palmeira P, Quinello C, Silveira-Lessa AL et al. Clin Dev Immunol 2011;2012:985646.
4. Chu HY and Englund JA. Maternal Immunization. Clin Infect Dis 201459(4):560-568.
5. Ständige Impfkommission: Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) beim Robert Koch-Institut 2024; Epid Bull 2024;4:1-72.
6. Dennehy PH, Cortese MM, Bégué RE et al. Ped Inf Dis J 2006;25(12):1123-1131.
7. Ständige Impfkommision, Deutsche Akademie für Kinder- und Jugenmedizin und Gesellschaft für Neonatalogie und Pädiatrische Intensivmedizin. Stellungnahme zur Rotavirus-Impfung von Früh- und Neugeborenen im stationären Umfeld. Epid. Bull 2015;1:1-10.
8. Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin. Überwachung der Atmung bei ehemaligen Frühgeborenen im Rahmen der Grundimmunisierung. 2013; unter: https://dgpi.de/wp-content/uploads/2014/04/FG-Impfung_Ueberwachung_DAKJ_Jul2013.pdf (abgerufen am 05.11.2024).