Poliomyelitis
Die Poliomyelitis ist eine Virusinfektion, die von drei Poliomyelitis-Virustypen (Gruppe der Pico-RNA-Viren) hervorgerufen werden kann und in bis zu 1% der Fällen zu Paresen führt. Die Viren werden fäkal-oral oder über Tröpfcheninfektion übertragen.
Ungeimpfte Kinder und Erwachsene, beruflich exponierte Personen, Asylbewerber aus sowie Reisende in Endemiegebiete.
- Inapparente Infektion (90-95 %)
- Milde Krankheit ("minor illness") mit Fieber, Abgeschlagenheit, Enteritis, Rhinitis über etwa 1 Woche (4-8 %)
- Minor illness gefolgt von der so genannten nichtparalytischen Poliomyelitis unter dem Bild einer aseptischen Meningitis (1-2 %)
- Minor illness gefolgt von der so genannten nichtparalytischen Poliomyelitis unter dem Bild einer aseptischen Meningitis (1-2 %)
- Minor illness gefolgt von der paralytischen Poliomyelitis (1 %)
Die seltene paralytische Verlaufsform ist die gefürchtetste Variante der Infektion, weil sie bei 10 % der davon Betroffenen zu bleibenden Paresen führt. Sie kann sich zu einer beatmungspflichtigen respiratorischen Insuffizienz entwickeln. Die Ateminsuffizienz war die ausschlaggebende Ursache für die Letalität der Poliomyelitis.
Vor Einführung der Schutzimpfung war die Poliomyelitis eine weltweit vorkommende endemische Krankheit. Noch 1961, dem Jahr vor der Einführung der Schluckimpfung (orale Poliomyelitis-Vakzine = OPV), gab es in der damaligen Bundesrepublik Deutschland 4.461 gemeldete Krankheiten mit 305 Todesfällen.
Nach Einführung der OPV gingen die Krankheitszahlen schlagartig zurück. Seit 1985 wurden in Deutschland nur noch 14 Poliomyelitiden durch Wildvirusinfektion registriert, davon die letzte in Deutschland erworbene 1986 und die letzten beiden importierten Krankheiten 1992. Nach 1992 traten keine Wildvirusinfektionen in Deutschland mehr auf. Es ist heute das erklärte Ziel der WHO, die Krankheit Poliomyelitis durch flächendeckende globale Impfmaßnahmen zu eliminieren.
Die nichtparalytische Poliomyelitis manifestiert sich als eine aseptische Meningitis etwa eine Woche nach der "minor illness". Die Prognose ist gut.
Bei der seltenen aber gefürchteten paralytischen Poliomyelitis sind ausschließlich die motorischen Nerven betroffen, was zu einer asymmetrischen, schlaffen Lähmung der von ihnen abhängigen Muskelpartien führt; die entsprechenden Muskeleigenreflexe erlöschen. Vorwiegend betroffen sind die proximalen Muskeln der unteren Extremitäten. Bei Beteiligung der Atemmuskulatur entwickelt sich eine beatmungspflichtige respiratorische Insuffizienz. Sie ist noch ausgeprägter, wenn als Sonderform der paralytischen Poliomyelitis Hirnnervenlähmungen hinzutreten (bulbäre oder bulbopontine Form), da hier neben Schluckstörungen und Augenmuskellähmungen auch Atem- und Herz-Kreislauf-Dysregulationen hinzutreten. Bei etwa 90 % der paralytisch Erkrankten kommt es nach vielen Monaten bis wenigen Jahren zu einer Rückbildung der Lähmungen.
Beim so genannte Post-poliomyelitis-Syndrom, von dem etwa 25 % aller einst paralytisch erkrankten Personen nach einer jahrzehntelangen beschwerdefreien Latenzzeit betroffen sind, kommt es zu Muskelschwäche und -atrophie in den einstmals paralytischen Muskelgruppen.
Die Diagnose wird in erster Linie aufgrund der vorhandenen Symptome gestellt. Die Diagnose sollte durch Virusnachweis im Stuhl, Rachen oder Liquor gesichert werden. Ferner lassen sich spezifische Antikörper im Serum nachweisen. Krankheitsverdacht (!), Krankheit und Tod sind in Deutschland meldepflichtig.
Die Poliomyelitis kann nur symptomatisch behandelt werden. Dies beinhaltet, je nach Krankheitsstadium, Bettruhe, ggf. parenterale Ernährung und maschinelle Beatmung sowie begleitende krankengymnastische Behandlungen. Im Fall bleibender Paralysen ist eine orthopädische Versorgung (Orthesen, Gehhilfen, Rollstuhl) notwendig.
Eine Chemoprophylaxe steht nicht zur Verfügung. Die Impfung ist die einzige wirksame Vorbeugung.
1. Heininger: Impfratgeber – Impfempfehlungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene/ 11. Auflage – Bremen: UNI-MED, 2022; Seite 66ff